Das traditionelle Jettinger Rumäckra findet jährlich am Faschingsdienstag als Umzugseröffnung (meist 12.30 Uhr) in unserer Marktgemeinde Jettingen-Scheppach, Schwaben, statt. Das „Rumäckra“ findet ca. eine Stunde vor Umzugsstart statt. Jettingen ohne Ortsteile zählt über 7.500 Einwohner und ist flächenmäßig die zweitgrößte Gemeinde im Landkreis Günzburg.
Seit über 350 Jahren gibt es in Jettingen-Scheppach, Schwaben, eine heutzutage grausig anmutende Tradition, welche jährlich vor dem Faschingsdienstagsumzug stattfindet. Das Rumäckra. Furchteinflößende Gestalten sollen an die Qualen und den Hunger zur Zeit des 30- jährigen Kriegs erinnern, als Jettingen nur noch aus einer handvoll Bürgern der Familie Burkhardt bestand.
Beim sogenannten Rumäckra (Herumackern) ziehen als Auftakt des Fasnachtsdienstagsumzug drei Männer in alter, traditioneller Bauerntracht mit einem hölzernen Pflug, vor den ein Schimmel gespannt ist, durch die Straßen Jettingens. Der erste Bauer führt das Pferd, der zweite lenkt den Pflug und der dritte sät. In dieser Konstellation ziehen sie um den Jettinger Stock, was bedeutet, dass sie einmal um den Jettinger Kirchblock ziehen, der Hauptstraße entlang, als Symbol für den Wiederbeginn des Marktlebens nach dem 30-jährigen Krieg. Hinter diesen kommt ein weiteres Pferd mit einer Ackerschleife daher, auf welcher der Kiraßbuckel liegt. Dies ist eine dunkel vermummte Gestalt, welche die Pest, das Böse und die Seuche darstellt. Sie wird gejagt und vertrieben durch die Hexe mit der Saublauter. Früher wurde der Kiraßbuckel sogar von den Zuschauern selbst mit allem Ekligen, Stinkendem und Müll beworfen- selbst Kot war nichts Außergewöhnliches. Dies wird heutzutage nicht mehr so betrieben.
Der Pflug mit dem das Rumäckra durchgeführt wird, ähnelt dem eines Pfluges aus der Nachkriegszeit. Alle Teile, bis auf Sech und Schar, sind aus Holz gefertigt. Sech: „ist das lange stark gekrümmte Eisen in Gestalt eines großen Messers, welches senkrecht in dem Bausme eines Pfluges vor der Pflugschar befestigt ist und das Erdreich senkrecht zerschneidet, welches hernach die Pflugschar unten absticht und aushebt“. Schar: „ist die Schneide des Pfluges. Als Schar wird unpräzise auch der Pflugkörper in seiner Gesamtheit bezeichnet. Mit der Verstärkung der Pflugschar durch Eisen wurde eine Bearbeitung von schwereren Böden möglich.“
Dieser Pflug, der von einem Bauer gelenkt wird, ist hinter einen Schimmel gespannt, der vom zweiten Bauer geführt wird. Der dritte Bauer ist der Sämann. Er trägt ebenfalls schwäbische Tracht und hat über der linken Schulter, unter der rechten Achsel hindurch, die Figur des Sämanns ein am Rücken verknotetes weißes Laken – das Sätuch. Mit einer Hand hält er das Tuch vor sich zusammen, sodass ein offener Sack für das Saatgut entsteht. Mit der anderen Hand greift er immer wieder in das Getreide, um es auszusäen.
Zur traditionellen Fasnacht in Jettingen gehört auch der sogenannte Kiraßbuckel. Dies ist eine hässliche, bis zur Unkenntlichkeit vermummte Menschengestalt. Beim Rumäckra wird der Kiraßbuckel hinter dem Pfluggespann auf einer Ackerschleife nachgezogen. Der Ursprung des Begriffes Kiraßbuckel ist im Französischen zu suchen. Kürass bedeutet ursprünglich Lederkoller; später wurde der Brustharnisch der schweren Reiter, der sogenannte Kürassiere, so bezeichnet. Der Brustharnisch wurde aber auch als Rückenschild getragen, woher das Wort Buckel kommen könnte. Die Gestalt des Kiraßbuckels soll innerhalb der Jettinger Fasnacht den 30-jährigen Krieg und die Pest versinnbildlichen. Ein Zusammenhang zwischen der Bezeichnung und der Bedeutung dieser Gestalt lässt sich wohl am ehesten herstellen, wenn man die Entwicklung des Wortes Kürass verfolgt. Als Zeichen dafür, dass der Krieg bereits überwunden ist, wird die Gestalt auf die Ackerschleife gebunden. Die Ackerschleife diente früher zum Einebnen des Bodens. Da Jettingen im 30-jährigen Krieg auch völlig dem Erdboden gleichgemacht wurde, wählte man als Sinnbild dafür wahrscheinlich gerade dieses Geschleif für den Kiraßbuckel. Dieses Gespann soll, wenn möglich, von einem alten, trägen Pferd gezogen werden, da mit dem Krieg alles Hässliche in Verbindung gebracht wird. Der Kiraßbuckel will sich immer wieder von seiner Ackerschleife erheben, wird aber von der Hex (Hexe) mit einer Saublauter (Schweinsblase) jedes Mal niedergeschlagen. Gerne jagt die „Hex“ auch mal den Zuschauern ein bisschen Angst ein und rennt auf Sie zu um Sie mit den „Saublautern“ zu versohlen.
Um die gesamte Bedeutung des Rumäckras zu verstehen, warum es so geflissentlich bis heute betrieben wird und es die Abbildung sogar auf das bis 1972 aktuellen Wappen Jettingens geschafft hat, muss man sich die Geschichte dazu anschauen: Es gibt Verschiedene Versionen wie es sich damals in Jettingen zugetragen haben und das Rumäckra entstanden sein könnte. Glücklicherweise wurden viele verschiedene Geschichten niedergeschrieben, um das Geschehene in Erinnerung zu behalten und auch wenn die Geschichten teilweise voneinander abweichen, so bleibt der Grundgedanke immer derselbe. Christian Hartmann berichtet in einem Unterhaltungsblatt zur Bayrischen Zeitung am 18.Februar 1939 unter dem Titel Die Jettinger Fasnacht, dass Jettingen im 30-jährigen Krieg so verwüstet und entvölkert wurde, dass der Sage nach nur drei ledige Männer, drei Brüder namens Burkhardt, übrig blieben. Sie haben sich Ihren Lebensunterhalt unter schwierigen Umständen zusammensuchen müssen, wobei sie sich am Tage nicht zeigen durften, um in der schwierigen Kriegszeit nicht erwischt zu werden. Als es jedoch ruhiger um sie herum wurde und sich der verwilderte Kriegshaufen zurückgezogen hatte, konnten sie sich auch tagsüber im Markte bewegen. Dort fanden sie auf dem Kirchenboden eine kleine Menge Getreide, von welcher sie eine Zeit lang dürftig lebten. An die Zukunft denkend, fingen Sie an, an dem Wiederaufbau Ihrer Heimat zu arbeiten und pflügten ein Stück Land. Da sie kriegsbedingt keine Zugtiere mehr besaßen, mussten sie sich immer abwechselnd in den Pflug spannen. Das restliche Saatgut wurde in die Erde gestreut und Gott war auf Ihrer Seite, denn die Ernte war sehr ertragreich. Die nächste Saatzeit war dann nicht mehr ganz so mühsam, denn ein durchgebrannter Schimmel der Schweden wurde gefunden und als treuer Helfer behalten. Die Szenerie wurde sowohl auf Jettingens altem Wappen, als auch immer wieder in der Fasnachtszeit beim Faschingsumzug durch das Rumäckra dargestellt.
Eine fast ähnliche Erzählung des Brauchtumsentstehens kann man in Isabella Brauns 1. Band Aus meiner Jugendzeit von 1825 nachlesen worin sie zwar die Belagerung, Dezimierung und Verwüstung Jettingens nicht ganz so ausführlich beschreibt wie Christian Hartmann, jedoch die Begebenheit des schwedischen Schimmels und der ersten Saat deckungsgleich zu Hartmanns Geschichte wiedergibt. Eine etwas andere Darstellung kann man in einem dem Artikel Der Heimatfreund von 1953/1 als Beilage zur Günzburger Zeitung und auch aus dem Artikel Sagen und Geschichten aus dem Günzburger Raum von Gazenmüller (1974) finden. In diesen werden zwar die Zerstörung, Hunger, Seuchen, Beraubung und Dezimierung Jettingens genauso brutal und Fähnriche. Ausführlich beschrieben, jedoch die Begebenheit des Schimmels etwas abgewandelt dargestellt wird. In beiden Artikeln wird berichtet, dass sich die letzten Jettinger (Burkhardts) unter einem Brücklein versteckt hielten und aus dem Hinterhalt einen Schimmel von den Schweden geklaut und den Reiter erschossen haben sollen. Danach suchten Sie nach dem letzten Stumpfen Getreide, welchen sie nicht mahlten um trotz nagendem Hunger Brot zu backen sondern um das Feld zu bestellen. Doch die wohl ausführlichste Geschichte, welche Jettingen über das Rumäckra besitzt ist wohl diese: Ortsgeschichte der Marktgemeinde Jettingen von Christian Hartmann, 1953 Jettingen nach dem 30-jährigen Krieg: „Der Markt fast ausgestorben, alles verwüstet, Land und Leute verarmt, die Menschen verroht. Neue Ansiedler aus der Schweiz, Tirol und den Alpenländern besiedelten unsere Gegend wieder. Die Überlieferung besagt, dass Jettingen ganz entvölkert, nur mehr von zwei (andere schreiben drei) Brüdern Burkhardt bewohnt gewesen sei. Der Markt war furchtbar verheert, aller Saatfrüchte und des ganzen Viehes beraubt. Bis endlich die Schweden abgezogen waren, hatten sie sich in einem zerfallenen Turm des menschenleeren verwüsteten Schlosses versteckt gehalten. Nun gingen sie auf Suche nach Lebensmitteln. Auf dem Kirchenboden fanden sie auch verstecktes Saatgetreide. Mit einem Teil desselben bebauten sie, den hölzernen Pflug abwechselnd selbst ziehend, das südlich vom Schloss gelegene Ackerfeld „Bointle“. Gott segnete ihre Aussaat und ihr Gottvertrauen. Sie hatten im nächsten Jahr eine schöne Ernte. Inzwischen kamen sie in den Besitz eines Pferdes; das ging so zu: Eines Tages sahen sie von ihrem Quartier im Schlossturm aus drei schwedische Reiter direkt unter ihrem Fenster der nahen Mühle zureiten. Die Schweden ritten ganz langsam vorbei. Da schoss einer der Brüder mit einer gefundenen Büchse einen der Schweden ab. In größtem Tempo nahmen seine erschrockenen Kameraden Reißaus, der Mühle zu, um im nahen Wald zu verschwinden. Der Schimmel blieb neben seinem toten Herrn ruhig stehen, so dass ihn die Brüder Burkhardt leicht fangen konnten. (...) Mit dem erbeuteten Schimmel pflügten sie dann in kommender Saatzeit das Feld.“
Nach einigen Jahren der Durchführung des Rumäckras und auch der gesamten Fasnacht, drohte das Verschwinden der Tradition. Dies wurde jedoch von einigen engagierten Fasnachtsnarren vereitelt, indem man einen Verein gründete: Die Burkhardia. Als Anlehnung an den Ursprung der Tradition des Rumäckras, wurde der Verein nach den letzten Überlebenden nach dem Krieg benannt, den Brüdern Burkhardt.
Nicht nur das Rumäckra wurde seither geflissentlich betrieben zur Bewahrung der Tradition und als Zeichen des Überlebens und Wiederaufbaus, sondern es gab noch zusätzlich Fähnriche und Bräutla (Fähnrichsfrauen) in traditionsreichen schwarzen langen Kleidern mit weißen Kragen, welche an den Wiederaufbau Jettingens erinnern sollten. Noch heute werden Fähnriche und Bräute jedes Jahr neu ausgewählt und in den alten Hochzeitskleidern präsentiert. Sie versinnbildlichen die Gründung von Familien um den Wiederbeginn des Marktlebens darzustellen.
Mit dem klassischen Wiener Walzer eröffnen unsere Fähnriche mit ihren Bräutla unseren Fähnrichsball. Natürlich bleiben wundernde Blicke auf anderen Umzügen nicht aus, da wohl heutzutage Prinz und Prinzessin gang und gebe sind, also das klassische Prinzenpaar im pompösen Kleid und besticktem Anzug erscheinen und nicht in eher unscheinbarem schwarzem traditionsreichem Festhäs (= Festgewand). Doch trotz der wundernden Blicke ist es ein wundervolles Erlebnis bei einem so traditionsreichen Geschehen mitwirken zu dürfen.